



Diaspora der Insel Susak - Von der Heimat nach Hoboken
Susak ist eine winzige Insel in der nördlichen Adria mit einer einzigartigen Geschichte â und einer bemerkenswerten Diaspora-Gemeinschaft auf der anderen Seite des Atlantiks. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Bevölkerung von Susak dramatisch reduziert, als die Mehrheit der Einwohner in ein neues Leben im Ausland aufbrach. Warum haben so viele Bewohner Susaks die Insel verlassen? Eine Kombination aus harten politischen VerĂ€nderungen und wirtschaftlicher Not nach dem Zweiten Weltkrieg trieb sie dazu, eine bessere Zukunft zu suchen. Nach dem Krieg wurde Susak Teil des sozialistischen Jugoslawiens, wo neue MaĂnahmen (wie Zwangskollektivierung und hohe Steuern) die traditionelle Weinbau- und Fischereiwirtschaft der Insel zerstörten (Croatian Studies Review). Angesichts von Armut, Hunger und fehlenden ArbeitsplĂ€tzen sowie erzwungener unbezahlter Arbeit durch die Regierung verlieĂen bis Mitte der 1960er Jahre mehr als 80 % der Menschen Susak (Croatian Heritage Foundation). 1948 hatte die Insel rund 1.629 Einwohner, doch in den folgenden zwei Jahrzehnten wanderten die meisten ab â bis 1971 nur noch 323 Menschen verblieben (Croatian Studies Review). Heute leben auf Susak nur noch etwa 150 stĂ€ndige Bewohner, wĂ€hrend geschĂ€tzt 2.500â4.000 Auswanderer aus Susak und ihre Nachkommen in den USA (vor allem in New Jersey) leben (Total Croatia News).
Erste Anzeichen von Auswanderung
Obwohl die Massenemigration erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt erreichte, begannen die Wurzeln der Abwanderung schon frĂŒher. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts standen die Weinbauern und Seeleute Susaks vor Problemen, die einige zur Auswanderung zwangen. So senkte ein Handelsabkommen der Ăsterreichisch-Ungarischen Monarchie von 1891 die Zölle auf importierten italienischen Wein, wodurch billiger italienischer Wein den Markt ĂŒberschwemmte â ein schwerer Schlag fĂŒr die Winzer Susaks (Croatian Heritage Foundation). Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Susak (zusammen mit Cres und LoĆĄinj) Italien angeschlossen, und die wirtschaftliche Krise der Zwischenkriegszeit traf die Schifffahrt und die lokale Industrie hart. Mit wenigen ArbeitsplĂ€tzen auf der Insel suchten viele junge MĂ€nner Arbeit im Ausland. In dieser frĂŒhen Phase (1910erâ1930er Jahre) reisten einige nach Amerika, um in HĂ€fen und auf Schiffen zu arbeiten â oft nur vorĂŒbergehend. Manche kehrten kurzzeitig zurĂŒck, um auf Susak zu heiraten, und nahmen ihre Frauen anschlieĂend mit in die USA. Die Einwanderungsquoten der USA in den 1920er Jahren bremsten jedoch diese erste Welle. Diese frĂŒhen Emigranten legten den Grundstein der Gemeinschaft im Ausland, doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg leerte eine massive Auswanderung die Insel tatsĂ€chlich.
Nachkriegs-Exodus: Warum die Menschen Susak verlieĂen
In den spĂ€ten 1940er und 1950er Jahren erreichten die politischen und wirtschaftlichen Belastungen Susaks einen Wendepunkt. Nach dem Krieg wurde die Insel in das kommunistische Jugoslawien eingegliedert. Die neuen MaĂnahmen â Enteignung von Privatland, Agrarreformen und Strafsteuern (wie eine hohe Weinsteuer 1964) â ruinierten viele Existenzen (Croatian Studies Review). Gleichzeitig fĂŒhrten Kriegszerstörung und Isolation zu VersorgungsengpĂ€ssen. ArbeitsplĂ€tze auf der Insel verschwanden â die Fischkonservenfabrik schloss 1963, die Genossenschaftskellerei wenige Jahre spĂ€ter (Croatian Studies Review). Zudem wurden die MĂ€nner von den Behörden zu unbezahlten Arbeitsdiensten verpflichtet (Croatian Heritage Foundation).
Unter diesen Bedingungen â Armut, politischer Druck und Hoffnung auf ein besseres Leben â sahen die Familien keine Zukunft mehr auf Susak. Zwischen 1948 und Ende der 1960er Jahre setzte eine Massenmigration ein. Mitte der 1960er Jahre hatten ĂŒber vier FĂŒnftel der Einwohner die Insel verlassen (Croatian Heritage Foundation). Sie trugen die Hoffnung auf stabile Arbeit, Bildung fĂŒr ihre Kinder und Freiheit mit sich â den klassischen Einwanderungstraum.
Der Weg: Emigrationsrouten nach Amerika
Die meisten Susaker folgten einer mehrstufigen Route in die USA:
- Flucht nach Italien: In den 1950er Jahren verlieĂen viele die Insel illegal mit Booten nach Italien, da Jugoslawien die Auswanderung streng kontrollierte. In Italien lebten sie zunĂ€chst in FlĂŒchtlingslagern (Croatian Studies Review).
- AtlantikĂŒberquerung: Von Italien aus gelang es den FlĂŒchtlingen, Ăberfahrten in die USA zu sichern, oft mit Hilfe bereits ausgewanderter Verwandter oder Hilfsorganisationen. Viele fuhren per Ozeandampfer nach New York.
- Ankunft in New York und New Jersey: Nach der Ankunft in New York City zogen die Neuankömmlinge meist nach Hoboken, New Jersey, wo sich bereits eine Gruppe von Susakern angesiedelt hatte.
Warum Hoboken? Vor allem durch Kettenmigration und Arbeitsmöglichkeiten. Schon vor dem Krieg hatten sich einige Susaker in Hoboken niedergelassen, angezogen von Hafenarbeit und Industriejobs. Diese Pioniere lockten Verwandte und Freunde nach. So konzentrierte sich â anders als bei vielen anderen kroatischen Gruppen â die ĂŒberwĂ€ltigende Mehrheit der Susaker Auswanderer in New Jersey (Croatian Studies Review). SchĂ€tzungen zufolge lebten 95 % aller Auswanderer nach 1945 in Hoboken und den umliegenden StĂ€dten (Croatian Studies Review). Jobs fĂŒr ungelernte ArbeitskrĂ€fte waren reichlich vorhanden (Croatian Heritage Foundation).
Auch wenn kleinere Gruppen nach Kanada, Australien, Frankreich oder Argentinien auswanderten, war Hoboken das unumstrittene Zentrum der Susaker Diaspora.
Aufbau einer Gemeinschaft in Hoboken, NJ
Ein Meilenstein war die GrĂŒndung der Society of St. Mikula (St. Nikolaus) von Susak im Jahr 1948 durch den Emigranten John MatesiÄ (Total Croatia News). Diese Gesellschaft half den Familien bei der Anpassung, organisierte Treffen und pflegte den Kontakt zur alten Heimat.
Weitere Gemeinschaftsinitiativen folgten:
- Sansego Soccer Club (Hoboken, 1960) â ein FuĂballverein, benannt nach Sansego (italienischer Name von Susak).
- Klapa Susak (Hoboken, 1981) â eine Gesangsgruppe fĂŒr traditionelle dalmatinische Klapa-Musik.
Diese Organisationen â zusammen mit kirchlichem Leben und Nachbarschaftshilfe â bildeten ein soziales Sicherheitsnetz. In gewisser Weise schufen die Susaker in New Jersey ein StĂŒck Dorfleben in der amerikanischen GroĂstadt.
Arbeitsleben in Amerika: Berufe und TĂ€tigkeiten
Die meisten Auswanderer waren zuvor Bauern, Winzer oder Fischer. In den USA fanden viele MĂ€nner Arbeit als Hafenarbeiter und Stauer in Hoboken und im Hafen von New York, andere in Fabriken, Bauunternehmen oder Handwerksbetrieben. Frauen arbeiteten hĂ€ufig in der Textilindustrie oder im Dienstleistungssektor. Mit der zweiten Generation Ă€nderte sich das Bild: Bildung öffnete TĂŒren zu Ingenieurwesen, Lehramt, Unternehmertum, Jura und Medizin (Croatian Heritage Foundation).
Herausforderungen und Erfolge in der Neuen Welt
Die erste Generation kĂ€mpfte mit Sprachproblemen und hatte meist nur geringe Schulbildung. Sie arbeiteten lange und hart und lebten zunĂ€chst beengt. Dennoch schafften sie es durch Zusammenhalt, ein freundliches Umfeld fĂŒr Neuankömmlinge zu schaffen.
Eine besondere Herausforderung war die Sehnsucht nach der Heimat. Doch die Susaker fanden einen Weg, sich zu integrieren und gleichzeitig ihre Sprache und Traditionen zu bewahren.
RĂŒckkehr nach Susak?
Eine dauerhafte RĂŒckkehr war selten. Die meisten Familien blieben in den USA. Nur wenige MĂ€nner zogen im Ruhestand zurĂŒck. Dennoch blieben die Bindungen stark. Besonders sichtbar ist dies beim jĂ€hrlichen Tag der Emigranten (Dan iseljenika), der jeweils am letzten Juliwochenende auf Susak gefeiert wird (Total Croatia News). Hunderte Nachkommen reisen dann auf die Insel, sodass Susak fĂŒr wenige Tage wieder voller Menschen ist. Dieses Fest ist zu einem wichtigen Ritual geworden, das die Verbundenheit mit der Heimat ĂŒber Generationen hinweg stĂ€rkt.
Bedeutende Persönlichkeiten und VermÀchtnis
John MatesiÄ gilt als Pionier â durch die GrĂŒndung der Society of St. Mikula 1948 wurde er zum Symbol der Gemeinschaft. Auch die GrĂŒnder des Sansego Soccer Clubs und der Klapa Susak prĂ€gten das Gemeinschaftsleben.
Viele Susak-Amerikaner erzielten persönliche Erfolge als Unternehmer, FachkrĂ€fte und lokale FĂŒhrungspersönlichkeiten in New Jersey. WĂ€hrend es vielleicht noch keine international bekannten Susaker Persönlichkeiten gibt, ist die kollektive Leistung â aus armen Inselbewohnern eine erfolgreiche Diaspora aufzubauen â von groĂer Bedeutung.